KULTUR UND GESCHICHTE(N)12Ein einstiger Berliner Busfahrer vermittelt Musik-Geschichte im Museum Pankow„Ein bisschen Zirkus muss sein“Manchmal hat man in Berlin Glück und statteines unfreundlichen Busfahrers, der die Türvor der Nase schließt oder auch mal die Fahrgästeanschnauzt, trifft man auf einen, der die Türnochmal öffnet, fröhlich einen guten Tag wünschtund gar unterwegs noch erklärt, was draußenvorbeirauscht. Einer, der gute Laune verbreitetund die Stadt liebt und sein Geschichtswissenteilt. So ein Busfahrer war über 41 Jahre DetlefHilbrecht, der sich schon seit Kindheitstagen fürHeimatgeschichte interessiert und keinen Ruhestandbraucht. Mit 65 ging er zwar vor gut zehnJahren in Rente, aber nur, um sich nun noch ausführlicherder Geschichte Berlins zu widmen. Ererklärt die Stadt, ihre Vergangenheit und Zukunft,im Auftrag der Stiftung Mitte Berlin und als einerder Freunde des Stadtmuseums bei Führungen.Er zieht sich dazu auch entsprechend an.„Ein bisschen Zirkus muss sein“, sagt er, als ichihn bei einer Vorführung mechanischer Musikinstrumentedes Stadtmuseums in der wundervollenAusstellung „Musica di strada“ im MuseumPankow anspreche und auch seinen Frack nebstSeidenbrokatweste, Einstecktuch, Fliege und Zylinderbewundere. Aber vor allem weiß er genauund gut zu erklären und hat sichtlich Spaß daran.Da unser Märkisches Museum ja leider für langegeschlossen ist, ist es erfreulich, dass die mechanischenMusikinstrumente jetzt hier an derPrenzlauer Allee zu sehen und zu bestimmtenTerminen auch zu hören sind. Sie passen ohnehingut nach Prenzlauer Berg, wo sich vor etwa150 Jahren italienische Musikinstrumentenbauermit ihren Familien ansiedelten.Ob Drehorgel oder Pianola:Er hat den Rhythmus rausund weiß viel zu erzählenVon der kleinen Spieldose bis zum großen Orchestrion,von verschiedenen Drehorgeln biszum Pianola – Hilbrecht kennt sie alle und lässtsie durch Armkraft an der Leier oder Fußkraftan den Pedalen erklingen. Er hat den Rhythmusraus. Sein Fitnessprogramm ist das zugleich, wozusonst auch Führungen zu Fuß durch Berlins historischeMitte gehören.Jeden Sonntag um 11 Uhr angeblich für eine Stunde,wird die Führung kostenfrei angeboten. PlanenSie besser zwei Stunden ein. Hilbrecht weißso viel zu erzählen, es dauert garantiert viel längerals 60 Minuten. Hinterher weiß man auch,• dass die Stifte in der Drehorgel dünner alsein Haar sind und von einem Uhrmacher eingesetztwurden,• dass es 1920 in Berlin 3.501 Drehorgelspielergab und weitere nicht zugelassen wurden,Detlef Hilbrecht führt auch Drehorgeln vor …
13… und spielt auf dem Pianola• dass an der Organette von 1886 ein Lied nacheiner Minute Drehen beendet ist,• dass das Polyphon von 1899 nur mit einem5-Pfennig-Stück aus Kaiserzeiten in Gang gesetztwerden kann,• dass das Orchestrion „Humor“ bis in die1990er Jahre bei Hühner Gust’l in der FriedrichshainerGrünberger Straße stand unddann nach Schließen des Lokals ans MärkischeMuseum verkauft wurde,• dass schon Haydn und Mozart für die Flötenuhrkomponierten,• dass die Cornettino-Drehorgel von 1885 mitden glänzenden Trompetenorgeln an der Vorderseitein Berlin für New Orleans gefertigtwurde und auch nur Lieder von dort spielenkann,• dass eine Firma bei der Sanierung eines Leierkastensmit solchen Trompetenorgeln vorhundert Jahren auch vom Entfernen vonsechs Murmeln aus den Trichtern berichtete.Tja, die Leierkastenmänner spielten nicht imKonzertsaal, sondern in Straßen und auf Hinterhöfen.Auch ein Grammphon wird vorgeführt und einePhonola, ein elektrisches Klavier. Ein ganzes Salonorchestersteckt hinter den bemalten Türendes um 1900 in der Schönhauser Allee gebautengroßen Orchestrions Fratihymnia, das den tongewaltigenAbschluss mit Opernmusik bietet. Dannwird alles wieder ordentlich verschlossen, aufgezogen,an die richtige Stelle gerollt. Und DetlefHilbrecht zieht die weißen Handschuhe aus, dieer zur Schonung der wertvollen alten Stücke trug.Sabine Nöbel„Musica di Strada“ – Italien im Prenzlauer Berg,Musikinstrumente des Stadtmuseums Berlin imMuseum Pankow, mindestens bis 19.10.2925,Di – So 10 – 18 Uhr, außer feiertags
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